Die Görres-Gesellschaft schreibt im Vorgriff auf die Jahrestagung 2021 einen Essay- bzw. Kreativ-Wettbewerb für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – insbesondere für solche in der Qualifizierungsphase - aus. Der Wettbewerb ist nicht auf Mitglieder der Görres-Gesellschaft beschränkt, sondern steht allen Interessenten offen.
Erwünscht sind Arbeiten, die sich mit dem Thema Toleranz in Form von Essays oder Kurzgeschichten, aber auch in Form von Filmen, Podcasts, Fotografien o.ä. auseinandersetzen. Der Kreativität und dem Ideenreichtum sind keine Grenzen gesetzt. Beiträge zum Wettbewerb können bis zum 1. Dezember 2020 bei der Geschäftsstelle der Görres-Gesellschaft in Bonn eingereicht werden.
Die Arbeiten werden anonymisiert von einer Jury bewertet, der Gutachterinnen und Gutachter für das jeweilige Fachgebiet angehören sowie Persönlichkeiten, die die eingereichten Arbeiten vergleichend bewerten. Kriterien sind inhaltliche Originalität und interdisziplinärer Beitrag.
Der Preis zielt auf ein tieferes Verständnis und die Vermittlung an ein breites Publikum des Phänomens Toleranz mit seinen vielfältigen Facetten ab. Eine aktuelle Dimension erfährt das Thema Toleranz durch die im Jahr 2020 weltweit grassierende Corona-Epidemie. Gesellschaften und Volkswirtschaften kommen durch die Pandemie an ihre Belastungsgrenzen, teilweise eingehegte Konflikte brechen neu auf. Bewährt sich in diesen Zeiten die Toleranz als „gesellschaftlicher Kitt“? Werden Grenzen der Toleranz besonders sicht- und erfahrbar? Oder schlägt Toleranz in Isolation und gesellschaftliche Ausgrenzung um? Oder wird, möglicherweise als ein positiver Effekt der Krise, Toleranz als ein zentrales Merkmal unserer Gesellschaft erst wieder sichtbar und erfährt neue Wertschätzung? Dies sind nur einige Stichworte, die in den Arbeiten aufgenommen werden könnten.
Der oder die Erstplatzierte erhält ein Preisgeld von 400 Euro als Reisestipendium für die Jahrestagung der Görres-Gesellschaft im Jahr 2021, verbunden mit der Möglichkeit, den eingereichten Beitrag bei der Jahrestagung vorzustellen. Die Zweit-und Drittplatzierten erhalten jeweils 200 Euro.
Hintergrund:
Die Jahrestagung der Görres-Gesellschaft im Jahre 2020 in Regensburg sollte das Thema „Toleranz? Herausforderungen und Gefahren“ in seinen unterschiedlichsten Dimensionen ausloten und dabei auch die vielfältigen Formen des Umgangs mit Toleranz in ihrer gesamten historischen sowie kulturellen Breite reflektieren. Durch die Corona-Pandemie kann die Jahrestagung allerdings nicht wie geplant durchgeführt werden. Sie soll nun vom 24. bis zum 26. September 2021 in Regensburg nachgeholt werden. Auch dann wird die Jahrestagung unter dem Thema stehen „Toleranz? Herausforderungen und Gefahren“.
Die Verpflichtung zu Toleranz ist eine unhintergehbare zivilisatorische Errungenschaft, die zu leisten mitunter beträchtliche Herausforderungen mit sich bringt. Toleranz findet jedoch ihre Grenzen dort, wo das gesellschaftliche Grundverständnis – etwa die Grundlagen einer freiheitlichen Gesellschaft – in Frage gestellt wird. Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie gilt es indes diesen Zwiespalt auszuhalten, ihn zugleich aber auch zu kritisch zu diskutieren und zu bewerten.
In offenen und zugleich ausdifferenzierten Gesellschaften, in der zahlreiche Ethnien, Religionen, poli-tische Überzeugungen und verschiedenste individuelle Lebensstile vor einer Vielzahl kultureller Hin-tergründe ihren Platz beanspruchen, ist die Frage, wie tolerant die Menschen miteinander umgehen, von zentraler Bedeutung. In der Vergangenheit haben sich Fragen des toleranten Miteinanders in vielen Gesellschaften mit unterschiedlicher Dringlichkeit gestellt, insbesondere dort, wo es zu einem intensiven Kontakt unterschiedlicher Ethnien, Kulturen und Religionen kam. Gesellschaftliche Aus-handlungs-, aber auch Selbstbehauptungsprozesse haben ihren Niederschlag in politischen oder wirtschaftlichen (Neu-)Ordnungen ebenso wie in synkretistischen Welt- und Glaubensvorstellungen oder in den ästhetischen Formen der gesellschaftlichen Selbstvergewisserung gefunden.
Auf die Gegenwart bezogen, haben sich im Zeichen der Globalisierung in den vergangenen Jahren indes viele Gemeinwesen in einem Maße verändert, wie dies wohl kaum zuvor der Fall war. Dies stellt immense Anforderungen an die Gesellschaften weltweit und an die Menschen, die in diesen Gesellschaften zusammenleben. Auf Europa und Deutschland bezogen, stellt sich etwa im Hinblick auf die aus dem arabischen Raum und aus Afrika nach Deutschland Geflüchteten die Frage nach dem Umgang mit Menschen, die oftmals eine gänzlich andere Sozialisation, Religion und Kultur mitbringen.
Im Sinne der oben angesprochenen differenzierten Gesellschaft gilt der Primat der Toleranz anderen Religionen, Kulturen etc. gegenüber. Es gilt jedoch in gleichem Maße, das Selbstverständnis, auf dem etwa unsere eigene Kultur gründet, zu bewahren und weiterzuentwickeln, und sie in kulturelle Aushandlungsprozesse einzubringen. Toleranz wird in diesem Kontext nicht nur als Herausforderung zu sehen sein; es wird in zunehmendem Maße auch deutlich, dass Toleranz ihre Grenzen dort erfährt, wo die offene und tolerante Gesellschaft selbst gefährdet ist.