Beeindruckende Tage erlebten die rund 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Studienreise des Jungen Forums der Görres-Gesellschaft, die vom 13. bis zum 17. März 2024 nach Dresden führte. Die Reise war als Begegnung mit Orten und Personen der Freiheit konzipiert worden, im Verlauf der Tage zeigte sich, dass der „Kampf um die Freiheit“ fortdauert und gerade in unserer Zeit besondere Brisanz erlangt.
Sehr herzlich gedankt sei bereits an dieser Stelle den zahlreichen Gesprächspartnern, die sich die Zeit nahmen, mit der Gruppe zu sprechen und ihre Sicht der Dinge zu vermitteln. Herr Dr. Thomas Arnold, ehemaliger Direktor der Katholischen Akademie in Dresden, nun im Sächsischen Innenministerium, beteiligte sich als „Pontifex“ hin zu diesen Persönlichkeiten – ohne ihn wären diese Begegnungen nicht möglich gewesen. Danke!
Gespräch mit Bürgerrechtler Frank Richter als Auftakt
Den Auftakt des spannenden, sehr dichten und intensiven Programms bildete die Begegnung am Mittwoch Abend (13. März) mit Frank Richter im Hotel Luisenhof auf dem „Weißen Hirsch“. Frank Richter war im Oktober 1989 einer der Initiatoren der „Gruppe der 20“, die im weiteren Verlauf der friedlichen Revolution ihre Forderungen dem damaligen Dresdner Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer übermitteln konnten. Damit trug er maßgeblich zum Erreichen der Ziele der Bürgerbewegung, zum Beispiel den ersten freien Wahlen im März 1990, bei. Seinen Ausführungen folgten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit atemloser Aufmerksamkeit und zeigten sich anschließend begeistert von der Möglichkeit, eine Person der friedlichen Revolution von 1989 erlebt zu haben. Mit Blick auf die „Wiedervereinigung“ Deutschlands im Jahr 1990 beklagte Richter, dass es „kein Zugehen des Westens auf den Osten“ gegeben habe, sondern lediglich einen „Anschluss“, was zu einem Gefühl der „Unterlegenheit“ geführt habe, eine Aussage, die in den folgenden Tagen immer wieder zu hören war.
Zur politischen Situation in Sachsen
Der Donnerstag (14. März) war geprägt von politischen Gesprächen zur aktuellen politischen Situation in Sachsen, die wesentlich im Zeichen der im Juni anstehenden Europawahlen, vor allem aber der Landtagswahlen in drei Bundesländern im Osten, darunter in Sachsen, stehen. Wahlprognosen zufolge ist mit massiven Stimmenzuwächsen der AfD zu rechnen, was Fragen dazu aufkommen lässt, wie es zum Erstarken rechtsextremer Einstellungen und letztlich der AfD kommen konnte.
In seinen Analysen zu Beginn des Tages zeigte Politikwissenschaftler Prof. Dr. Werner Patzelt auf, dass die maßgeblichen Parteien in Sachsen, allen voran die CDU, dem seit Mitte der 2010er Jahre wachsenden Unmut großer Teile der Bevölkerung, der sich beispielsweise in der Pegida-Bewegung, später im Erstarken der AfD äußerte, mit Unverständnis und Ignoranz begegnet sei. Von der ehemals starken integrativen Kraft der CDU sei kaum mehr etwas vorhanden, weshalb in der Bevölkerung eine tiefe Enttäuschung gegenüber dieser Partei zu spüren sei. Patzelt warnte vor der Annahme, dass die Erfolge der AfD sich einfach „totlaufen“ könnten und zugleich davor, mit ihr in irgend einer Weise zusammenzuarbeiten.
Am Nachmittag dieses Tages wurde die Thematik erneut aufgegriffen, zunächst im Gespräch mit dem Sprecher der sächsischen Staatskanzlei, Ralph Schreiber. Er stellte zunächst die politische Situation in Sachsen dar, ebenfalls wieder im Hinblick auf die Wahlen in diesem Jahr. Schreiber beklagte, dass viele Themen und positive Initiativen – als Beispiele nannte er Erfolge in der Bildungspolitik, Regionalentwickelung sowie Industrieansiedelungen in Sachsen – von den Bürgerinnen und Bürgern nicht wahrgenommen würden. Stattdessen würden die politischen Debatten in Sachsen von Problemen dominiert, die im Freistaat selbst nicht gelöst werden könnten, etwa die Migrationskrise, der Ukrainekrieg oder die Energiewende. Die Politik erscheine in den Augen vieler deshalb als handlungsschwach. Gleichwohl zeigte sich Schreiber davon überzeigt, dass nur der Dialog über strittige Themen zum Erfolg führen könne, als Beispiel hierfür führte er die von Ministerpräsident Kretschmer initiierten Bürgerdialoge an.
Im Anschluss an den Besuch in der Staatskanzlei folgte die Gruppe der Einladung ins Sächsische Innenministerium, wo zunächst ein Gespräch mit dem Lokalredakteur der FAZ, Stephan Locke, anstand. Locke schilderte zu Beginn seinen Werdegang, bis hin zum politischen Korrespondenten der FAZ für Sachsen und Thüringen mit Sitz in Dresden, der er seit September 2016 ist. Die Ausblendung der AfD aus dem politischen Diskurs habe seiner Meinung nach zum Erfolg dieser Partei geführt, weshalb er dafür plädierte, die öffentliche Konfrontation mit den führenden Protagonisten der AfD zu führen. „Ich hätte nie gedacht, dass die Ost-West-Auseinandersetzung noch einmal zu einem Thema werden könnte“, sagte er im Blick auf das Entstehen der Pegida-Bewegung, deren Wesenskern er in einem Unterlegenheitsgefühl Ostdeutscher sieht. Entsprechend plädierte Locke dafür, in den Medien mehr über den Osten Deutschlands zu berichten: „Manche Journalisten waren noch nie hier!“, so seine Bilanz.
Abgeschlossen wurden die Gespräche dieses Nachmittags in der Begegnung mit der Staatssekretärin im Sächsischen Staatsministerium für Regionalentwicklung, Barbara Meyer. Sie monierte, dass die Deutsche Einheit „im Lebensgefühl der Westdeutschen nie wirklich angekommen“ sei und es deshalb kein Verständnis für Ostdeutschland gebe. Anhand einiger markanter Bespiele machte sie deutlich, dass Sachsen erneut, nach dem Umbruch nach 1989, vor einem Transformationsprozess stehe. So schilderte sie die Strukturperspektiven in den Braunkohleregionen Sachsens, wo der Ausstieg auf der Kohleförderung bis zum Jahr 2038 beschlossen sei, mit gewaltigen Implikationen für die Gestaltung der Landschaften, Kommunen und Arbeitsprozesse.
Am Abend dieses Tages erhielten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Gelegenheit, bei einem Imbiss mit dem Bischof der Diözese Dresden-Meißen, Heinrich Timmerevers, zusammenzutreffen. Timmerevers stammt aus dem Oldenburger Land und hatte im Bistum Münster wichtige Positionen inne, ehe er im Jahr 2016 zum Bischof ernannt wurde. Er gab seinen Gästen einen Einblick von den persönlichen Herausforderungen, die sein Wechsel aus dem Westen in den Osten mit sich brachte. Eindrucksvoll war seine Warnung, Ostdeutsche darüber belehren zu wollen, was die DDR bedeutet habe. „Sie können sich noch so viel anlesen, Sie haben es aber nie gefühlt“, so der gute Ratschlag eines Gemeindemitglieds, den er nach seiner Ankunft in Dresden bekommen habe. Im Anschluss war die Gruppe zu Gast in der Katholischen Akademie des Bistums, wo Frau Prof. Dr. Regina Polak von der Universität Wien einen Vortrag zu theologischen Perspektiven des Umgangs mit Migration und Migrantinnen und Migranten hielt.
Damit nicht genug – ein letztes Glanzlicht setzte die Nachtführung durch die Semperoper, die strahlend leuchtete, mit ihrer Pracht die Teilnehmerinnen und Teilnehmer tief beeindruckte und mit ihrer Schönheit zu später Stunde einen Kontrapunkt zu diskutierten Schwierigkeiten und Problemen setzte.
Dresden – Stadt der Künste
Am Morgen des Freitags (15. März) stand erneut die Semperoper im Mittelpunkt des ersten Gesprächs. Der Intendant der Semperoper, Peter Theiler, hatte sich gut eineinhalb Stunden Zeit genommen, die Gruppe durch die „Eingeweide“ der Semperoper zu führen, über zahlreiche Treppenhäuser und die große Opernbühne hin zum Opernkeller. Dort stellte er Kennzahlen der Semperoper vor (800 Angestellte, rund 370 Veranstaltungen im Jahr, 96% Auslastung im Januar 2024), erläuterte seine Aufgaben als Intendant und die Herausforderungen, vor denen das Haus steht. So stammten 50 Prozent der Besucher von außerhalb mit einem besonderen Interesse für die klassischen Stücke (Zauberflöte u.ä.). Es gelte zum Beispiel, die Balance zwischen diesen und der zeitgenössischen Oper zu wahren, was der Semperoper jedoch sehr gut gelinge. Wichtig sei, ein junges Publikum für die Oper zu begeistern. Dazu sei ein eigenes Programm entwickelt worden, in dem Kindergärten und Schulen besucht würden, um „ein Publikum für Übermorgen“ zu schaffen.
Dresden als Stadt der Bildenden Künste stand bei einem Mittagessen mit dem kaufmännische Direktor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Dirk Burghardt, auf dem Programm. Er schilderte den Teilnehmerinnen und Teilnehmern seinen Werdegang als Verwaltungsjurist in die „Managementposition“ der Kunstsammlungen, Unter anderem ging es bei seinen Ausführungen auch auf den dramatischen Diebstahl im Grünen Gewölbe im November 2019 ein, der für die Kunstsammlung ein traumatisches Erlebnis gewesen sei.
Einschätzungen des Verfassungsschutzes
Einer der politischen Höhepunkte der Studienreise nach Dresden bildete am Nachmittag dieses Tages das Gespräch mit dem Präsidenten des Landesamtes für Verfassungsschutz Sachsen, Herrn Dirk-Martin Christian. Präsident Christian nahm sich für dieses Gespräch knapp drei Stunden Zeit, in denen er die Gruppe umfassend und höchst eindrucksvoll über Aufbau und Tätigkeit seiner Behörde informierte, einen Schwerpunkt seiner Ausführungen jedoch auf die Erkenntnisse über den Rechtsextremismus, insbesondere die AfD, legte. Diese werde vom Verfassungsschutz Sachsen als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft (siehe hierzu einen Bericht der „Tagesschau“ vom 8.12.2023). Argumente hierfür waren Aussagen über „Ethnopluralismus“, Demokratieverachtung sowie das gemeinsame Auftreten mit Rechtsextremisten. Die AfD stelle dabei einen „monolithischen Block“ dar, innerparteiliche Opposition gebe es nicht und die „AfD habe bestehende rote Linien weit hinter sich gelassen“, Sorgenvoll blickte Präsident Christian auf die Ursachen für das Erstarken der AfD, wie sie in wissenschaftlichen Untersuchungen und Umfragen, insbesondere dem „Sachsen-Monitor 2023“ zutage träten. So sei die Demokratieverachtung in den vergangenen Jahren in der Bevölkerung insgesamt gestiegen („Kein Vertrauen in Parteien“ bei 89% der Befragten), die Rufe nach einem „starken Staat“ lauter geworden (56%), ausländer- oder muslimfeindliche Einstellungen seien weiter auf dem Vormarsch (54%). Verschwörungsnarrative wären mittlerweile weit verbreitet („Geheime Organisationen regieren das Land“ von 30% geteilt). Wie bereits zahlreiche Gesprächspartner vor ihm, führte Präsident Christian die Entwicklung dieser Einstellungen auf die Enttäuschung viele Ostdeutscher zurück. „1989/90 hat sich für die Westdeutschen kaum etwas geändert, für die Ostdeutschen alles“, so seine zusammenfassende Analyse.
„Dresden – zwischen politischer Krise und glanzvollen Höhepunkten“. Auch dieser Abend sollte mit einer Besonderheit aufwarten, denn die Gruppe war eingeladen zur feierlichen Eröffnung der Ausstellung „Fragmente der Erinnerung“, die den Schatz des Prager Veitsdoms im Dialog mit Werken der Künstler Edmund de Waal, Josef Koudelka und Julian Rosefeldt in der Kunsthalle im Lipsiusbau zeigt.
„Im Kampf um die Freiheit“
Am Samstag (16. März) knüpfte der Besuch der „Gedenkstätte Bautzner Straße“ thematisch an den Freiheitskampf der Dresdener im Jahr 1989 und die Jahre der Diktatur zuvor an, von dem die Gruppe bereits im Gespräch mit Frank Richter zu Beginn der Studienreise einen Eindruck vermittelt bekam. Die Gedenkstätte erinnert an die Opfer der politischen Verfolgung in der Sowjetischen Besatzungszone und DDR. Im Keller des Gebäudes waren die Gefängnisräume aus der Zeit unmittelbar nach Ende des Krieges in den Jahren seit 1945 zu sehen, in den darüberliegenden Trakten die Gefängnis- und Arrestzellen sowie Verhörräume.
Am Nachmittag „gönnte“ sich die Gruppe einen entspannten Ausflug nach Meißen, der neben einem Blick in den Dom auch den Besuch der Winzergenossenschaft Meißen nebst einer Weinprobe bot.
Abgeschlossen wurde die Studienreise des Jungen Forums am Sonntag, dem 17. März, mit der Teilnahme an einem Gottesdienst in der Garnisonskirche St. Martin und dem anschließenden Besuch des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr, das durch seinen hervorstechenden keilförmigen Einbau, der auf Architekt Daniel Libeskind zurückgeht, über die Landesgrenzen hinausgehende Berühmtheit erlangte. Doch auch die Inhalte machten außerordentlich nachdenklich und riefen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern noch einmal den zentralen Aspekt dieser Studienreise ins Gedächtnis, den „Kampf um die Freiheit“.
Großer Dank zum Abschluss
Großer Dank gebührt allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern an der Studienreise. Ein ganz besonderer Dank geht an Frau Prof. Dr. Britta Kägler, Historikerin an der Universität Passau, die diese Fahrt mit vorbereite, begleitete und die mit ihrer historischen Kompetenz wichtige Einordnungen vornahm. Einen von Frau Prof. Kägler erarbeitete „Reader“ zu Dresden, der Geschichte Dresdens sowie den Orten und Persönlichkeiten, die bei dieser Studienreise eine Rolle spielten, können Sie hier abrufen.