In einem höchst spannenden und unterhaltsamen wie erhellenden und facettenreichen Gespräch trafen die Schriftstellerin Nora Bossong und der ehemalige CDU-Generalsekretär und Bundestagsabgeordnete Dr. Peter Tauber am Donnerstag, dem 26. Oktober 2023, im Bundeskanzler-Adenauer-Haus in Rhöndorf aufeinander. Zentraler Diskussionspunkt vor den mehr als 100 Gästen war die Analyse der Generation der in den Jahren 1975 bis 1985 Geborenen, zu denen Politikerinnen und Politiker gehören, die mittlerweile höchste Staatsämter bekleiden. Nora Bossong bezeichnet diese im Titel ihres 2022 erschienenen Buches als „Die Geschmeidigen“.
Angehörige der älteren „Generation Golf“, wie sie der Schriftsteller Florian Illies genannt hatte, seien in einer Zeit großer Freiheiten aufgewachsen, in der es klare Traditionen und Bindungen gegeben habe, so Tauber. Kennzeichnend sei, dass die Generation der „Geschmeidigen“ auch als Generation „Bionade“ bezeichnet werden könne: „Genuss mit einem guten Gefühl, etwas für die Welt zu tun“.
Vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges und des jüngst wieder aufgeflammten Nahostkrieges, wie auch des Klimawandels und vielfältiger Bedrohungen unseres demokratischen Gemeinwesens, analysierte Nora Bossong, dass viele der westlichen Errungenschaften wie Demokratie, Freiheit und materieller Wohlstand lange Zeit allzu selbstverständlich hingenommen wurden. Die Frage stelle sich vehement, inwieweit die Generation der „Geschmeidigen“ willens und in der Lage ist, diese Werte zu verteidigen.
Peter Tauber, ehemaliger Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium und Hauptmann d. R. nannte als konkretes Beispiel die Bundeswehr, deren Bedeutung lange Zeit unterschätzt, ja missbilligt wurde. Die bundesdeutsche Gesellschaft müsse sich jedoch entscheiden, ob sie den aggressiven, autokratischen Systemen kraftvoll Widerstand leisten wolle. „Frieden hat einen Preis. Wenn wir nicht bereit sind, für unsere Freiheit zu kämpfen, ist sie es uns nicht wert.“, so Tauber.
Den „Geschmeidigen“ attestierten beide, selbstreflektierender zu sein als vorige Generationen, dabei jedoch konkrete Verantwortung oftmals nicht anzunehmen. Kennzeichnend dafür sei eine überbordende Bürokratie, die Verantwortlichkeiten weiterschiebe.
Dabei sei die Übernahme von Verantwortung zentrale Aufgabe dieser Generation und ihrer Politikerinnen und Politiker, denn ein Blick in die Folgegeneration, die von manchen als „Generation Y“, von anderen als „Generation Schneeflocke“ bezeichnet werde, ließe erahnen, dass die gesellschaftlichen Debatten an Schärfe und Rigorismus zunehmen werden. Beispielhaft wurden die Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit dem Klimawandel und der Energiewende („Fridays for Future“ und „Letzte Generation“) genannt. Dabei werde unser demokratisches System insgesamt in Frage gestellt. Auch in früheren gesellschaftlichen Konflikten – Tauber erinnerte an den NATO-Doppelbeschluss zu Anfang der 1980er Jahre – habe es scharfe Gegnerschaften gegeben, die jedoch wieder eingehegt wurden. Diesen Willen zum gesellschaftlichen Kompromiss erkennt Nora Bossong in der Generation der zwischen 1995 und 2010 Geborenen kaum noch.
Eine zentrale Passage, die sie aus ihrem Buch vortrug, richtet sich deshalb leidenschaftlich an „Die Geschmeidigen“: „Wir sind die letzte Generation, der ein rapider und zugleich einigermaßen sanfter Wechsel noch gelingen kann. In ein paar Jahren wird es schlicht zu spät sein. Während die Polkappen schmelzen, verhärtet sich das soziale Gefüge ideologisch. Wenn sowohl der gesellschaftliche als auch der klimatische Kipppunkt überschritten sind, wird der Ruf nach einem Umsturz des parlamentarischen Systems so laut werden, dass man die weniger radikalen Vorschläge kaum noch wird hören können.“ (Nora Bossong: Die Geschmeidigen, S. 196)
Die Görres-Gesellschaft dankt Nora Bossong und Peter Tauber für die außerordentlich inspirierende Diskussion sowie Julia Grimm (Phoenix) für die Diskussionsleitung. Ebenso herzlich danken wir der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) und der Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus in Rhöndorf, für diese großartige Zusammenarbeit und für die Gastfreundschaft im Bundeskanzler-Adenauer-Haus in Rhöndorf!
Zum Hintergrund:
Zwei Kriege, die die westliche Staatengemeinschaft in ihren Grundfesten fordern, daneben der Klimawandel und die weltweiten Migrationsbewegungen sowie eine um sich greifende Demokratiefeindlichkeit lässt uns fragen: „Wie schlagen sich die heute um die 40-Jährigen mit diesen unerwartet massiven, bislang ungelösten Herausforderungen? Können sie ihrer Verantwortung gerecht werden?“, so heißt es im Begleittext zum politischen Essay „Die Geschmeidigen“, den die Schriftstellerin Nora Bossong im Februar 2022 vorgelegt hat. Sie beschreibt eine Generation, die in Frieden, Freiheit und Wohlstand aufgewachsen ist und jenseits der Selbstverwirklichung "jetzt liefern muss“. Wie und ob das gelingt, diskutierte sie im Gespräch mit dem ehemaligen CDU-Generalsekretär und Bundestagsabgeordneten Dr. Peter Tauber.
Nora Bossong
Nora Bossong, 1982 in Bremen geboren, studierte in Leipzig am Deutschen Literaturinstitut und an der Humboldt-Universität in Berlin Philosophie und Komparatistik. Sie veröffentlichte die Romane "Gegend" (2007) und "Webers Protokoll" (2009). Ihr Gedichtband "Sommer vor den Mauern" (2011) wurde 2012 mit dem Peter Huchel-Preis ausgezeichnet. 2019 gelangte ihr Roman „Schutzzone“ auf die Longlist des Deutschen Buchpreises. Bossong wurde vielfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Thomas-Mann-Preis (2020) und dem Joseph-Breitbach-Preis (2020). Sie ist Kolumnistin des Philosophie-Magazins. Im Dezember 2021 wurde sie als ordentliches Mitglied in die Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz aufgenommen. Nora Bossong ist Mitgründerin des PEN Berlin, wo sie als freie Schriftstellerin lebt.
Seit April 2021 ist sie zugewähltes Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK). Aufschlussreich im Hinblick auf ihr Katholischsein ist ein Interview in der Herder-Korrespondenz vom Juli 2019.
Neben der Veröffentlichung von Romanen, Essays und Gedichten meldet sie sich regelmäßig zu aktuellen gesellschaftspolitischen Themen zu Wort. Vor diesem Hintergrund erschien im Februar 2022 ihr politikanalytischer Essay „Die Geschmeidigen“, in dem sie sich mit der Generation der zwischen 1975 und 1985 Geborenen auseinandersetzt. Jener Generation also, die unter anderem in der regierenden Ampel-Koalition politische Verantwortung übernommen hat. Bezeichnenderweise heißt es zu ihrem Buch: „Jenseits der Selbstverwirklichung: die durchdringende Analyse einer Generation, die jetzt liefern muss“
Peter Tauber
Peter Tauber wurde 1974 in Frankfurt am Main geboren. Er studierte Politikwissenschaft an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main Mittlere und Neuere Geschichte und Germanistik. Er war von 2009 bis Mai 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages und von 2013 bis 2018 Generalsekretär der CDU. Von 2018 bis zum 2021 war er Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung. Nach seinem Ausstieg aus der Politik aus gesundheitlichen Gründen war er zunächst Pressesprecher des Arbeitsbekleidungsherstellers Engelbert Strauss und gründete 2022 gemeinsam mit einem Geschäftspartner die Strategieberatungsagentur Vierfichten.
Tauber meldet sich immer wieder in zentralen gesellschaftlichen Debatten zu Wort. So äußerte er sich als bekennender evangelischer Christ pointiert zu Fragen der Bio- und Medizinethik sowie zur Sterbehilfe, in denen er das Primat des Lebensschutzes betont. Tauber ist Mitglied der überparteilichen Europa-Union Deutschland, die sich für ein föderales Europa und den europäischen Einigungsprozess einsetzt.
In seinem Buch „Du musst kein Held sein“ beschreibt er aus seiner Sicht die Notwendigkeit von Solidarität, Mitmenschlichkeit und christliche Nächstenliebe für das Zusammenleben und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. In seinem aktuellen Buch schaut er auf die „Mutmacher“, auf Menschen, die aus Schicksalsschlägen und Krisen Kraft geschöpft und sich für andere eingesetzt haben. Zur Zeit arbeitet der Historiker an der Universität der Bundeswehr an seiner Habilitation.