Am Montag, dem 18. November 2024 waren es tausend Tage her, dass auf Putins Befehl russische Streitkräfte in die Ukraine einmarschierten. Der Staatenkrieg kehrte nach Europa zurück und bringt seither unsägliches Leiden und Sterben über die Ukraine. Aus Anlass dieses bitteren Jubiläums führte die Görres-Gesellschaft in Zusammenarbeit mit dem CASSIS-Institut an der Universität Bonn und dem Fraunhofer-Institut FKIE im Bonner Universitätsforum vor mehr als 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern eine Veranstaltung unter dem Thema „Tausend Tage Krieg. Politische, militärische und technologische Einschätzungen“ durch. Mit Impulsvorträgen und als Diskutanten nahmen daran General a.D. Jörg Vollmer, Chief Advisor Military Affairs am Fraunhofer FKIE, sowie Prof. Dr. Wolfgang Koch vom Fraunhofer-Institut FKIE teil. Moderiert wurde die Veranstaltung von Prof. Dr. Ulrich Schlie, CASSIS Uni Bonn.
Nach den Grußworten von Dr. Philip Schäfer, Geschäftsführer am CASSIS und Dr. Martin Barth, Generalsekretär der Görres-Gesellschaft sowie einer Einführung von Prof. Dr. Ulrich Schlie, stellte General a.D. Jörg Vollmer den russischen Angriffskrieg aus militärisch-strategischer Sicht dar. Er erinnerte daran, dass Putin den Verteidigungswillen der Ukraine unterschätzt habe, ebenso die Einigkeit des Westens. Russland halte mit einem ungeheuren Blutzoll den Druck auf die Ukraine aufrecht und verstärke ihn gegenwärtig. Perspektivisch forderte er, die Ukraine durch Lieferungern von mehr Waffen und Munition möglichst gut für Verhandlungen zu positionieren: „Ein Diktatfrieden muss verhindert, der heroische Kampf der Ukraine belohnt werden!“ Den baltischen Staaten galt Vollmers besondere Aufmerksamkeit, für die der Erhalt ihrer hart erkämpften Unabhängigkeit essentiell sei. Mit dem Begriff „Freiheit“ würden im Westen individuelle Freiheitsrechte assoziiert, im Baltikum die Freiheit des Staates und der Gesellschaft. Mit Blick auf die bundesdeutsche Gesellschaft konstatierte General Vollmer, dass die „Zeitenwende“ noch nicht als gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahrgenommen werde.
An diesen Gedanken knüpfte Prof. Dr. Wolfgang Koch an, der das Kriegsgeschehen aus einer militärisch-technologischen Warte analysierte. Die Fähigkeit zur Vernetzung sei eine zentrale Voraussetzung zur erfolgreichen Kriegsführung, so Koch. Er zog danach vier Schlussfolgerungen aus dem Kriegsgeschehen: (1) Alte Waffengattungen erleben eine erstaunliche Renaissance, aber gleichzeitig erlebe die Kriegsführung eine Digitalisierung auf sämtlichen Ebenen. (2) Die deutsche Wehrtechnik habe eine erstaunliche Qualität, problematisch sei ihre Verfügbarkeit. (3) Beobachtbar sei die Entwicklung hin zu einem „Gläsernen Gefechtsfeld“, das es einem Angreifer schwerer mache. (4) Die herrschende Militärdoktrin habe eine sehr hohe Bedeutung, beobachtbar seien in der Ukraine kurze Innovationszyklen. Prof. Koch appellierte zum Ende seines Impulsvortags an die Verantwortung des Menschen, die er habe, gerade wenn Systeme mit Künstlicher Intelligenz eingesetzt werden müssten: „Maschinen müssen so entwickelt werden, dass Verantwortung dafür möglich ist.“ Die Antwort auf die Frage, wie Deutschland seine Verteidigungsfähigkeit erhöhen kann, liegt nach Meinung Kochs in der Hochtechnologie.
Im Anschluss an die Impulsvorträge fand eine Diskussion der Vortragenden unter der Moderation von Prof. Dr. Ulrich Schlie statt, in der auch Fragen aus dem Publikum beantwortet wurden. Prof. Koch betonte, dass die Bundeswehr stärker als in der Vergangenheit als Teil der deutschen Gesellschaft gesehen werden müsse. In diesem Zusammenhang forderte er, über die „Zivilklausel“ nachzudenken, die deutschen Universitäten militärische Forschung verbiete. Wie in seinem Statement ausgeführt, betonte er nochmals, dass die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands von seiner Hochtechnologie abhänge, die alleine im industriellen Bereich nicht zu erbringen sei. Zum Abschluss der Diskussion stellte sich General Vollmer der kritischen Nachfrage, ob der Angriff auf die Ukraine aufgrund einer Provokation Russlands erfolgt sein könnte. Er wies diesen Gedanken zurück und betonte, dass jedes Land frei darin sei, sich einem Bündnis anzuschließen und dass es der freie Wille der Ukraine gewesen sei, sich NATO und EU anzunähern.
Mit diesem Appell an die Freiheit und anhaltendem Applaus endete die Diskussionsrunde, die die Verantwortlichen für diesen Abend als wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Diskussion um den russischen Angriffskrieg und den Freiheitskampf der Ukraine sehen, die diesen auch für die Freiheit Europas und des Westens insgesamt führt.