„Kippt der Osten? Zur politischen Situation im Osten Deutschlands" lautete das Thema des 18. Webinars der Görres-Gesellschaft, das am Donnerstag, dem 28. November 2024 in Zusammenarbeit mit dem Katholischen Akademischen Ausländerdienst (KAAD) durchgeführt wurde. Als Referenten dieses Abends, an dem mehr als 35 Personen teilnahmen, konnten die Veranstalter Herrn Dr. Thomas Arnold gewinnen, der bis zum Frühjahr dieses Jahres als Direktor der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen tätig war. Unter anderem ist Thomas Arnold Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken und im Sachausschuss für politische und ethische Fragen.
Thomas Arnold schilderte vorwiegend die Situation im Freistaat Sachsen, der seit den Landtagswahlen am 1. September 2024 eine Phase der politischen Unsicherheit durchlebe. Den heutigen Tag bezeichnete Arnold als „historisch“, habe sich doch just entschieden, dass Sachsen wohl von einer Minderheitsregierung aus CDU und SPD regiert werden würde. Dies bedeute auch, dass Sachsen auf eine Phase der politischen Unsicherheit zusteuere.
Arnold beließ es gleichwohl nicht bei tagespolitischen Analysen, sondern spannte einen weiten Bogen hin zu den Ursachen der wachsenden Unzufriedenheit und politischen Krise. So konstatierte er, dass die Parteienbindung im Osten Deutschlands insgesamt sehr niedrig sei, was einer gewissen Volatilität zugute käme. Dies sei insbesondere angesichts des starken Abschneidens der AfD wie auch des BSW bei den Wahlen zu erkennen gewesen. Die Wähler der extremen Parteien müssten für die demokratische Mitte zurückgewonnen werden, die AfD müsse inhaltlich gestellt und mit ihr gestritten werden.
Dass mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung die Unterschiede zwischen Ost und West eine immer größere Rolle spielen, erläuterte Arnold anhand mehrerer Beispiele. So sei Sachsen angesichts der massiven Abwanderungsbewegungen seit den 1990er Jahren das vom demografischen Wandel in Deutschland am meisten betroffene Land. Die zurück bleibende Bevölkerung perpetuiere eher das demografische Problem. Verstärkt würden die Ost-West-Differenzen, die sich beispielsweise auch in der Beliebtheit aktueller Publikationen zeigten (Dirk Oschmann: Der Osten: eine westdeutsche Erfindung; Steffen Mau: Ungleich Vereint; Ilko-Sascha Kowalczuk: Freiheitsschock), durch das tiefe Misstrauen staatlicher Institutionen gegenüber, das in der Corona-Pandemie stark angewachsen sei.
Thomas Arnold forderte, dass Menschen in Ost- wie in Westdeutschland einen gemeinsamen Horizont für ihr Land entwickeln müssten. „Wer sind wir in diesem geeinten Land?“ müsse die zentrale Frage dabei werden. Es genüge nicht, Verständnis für die Geschichte des jeweils anderen zu entwickeln, vielmehr müsse der Blick in die Zukunft gerichtet sein: „Was ist dabei unsere gemeinsame Vision?“, so Arnold.
In der anschließenden Diskussion wurde diese Frage aufgegriffen und beispielsweise kritisch vom Erfurter Theologen und Philosophen Prof. Dr. Eberhard Tiefensee angemerkt, dass Deutschland mental keine Einheit bilde und das Verständnis einer gemeinsamen Geschichte illusionär sei. Ein weiterer Diskussionsbeitrag widmete sich der Aufarbeitung der Corona-Pandemie und stellt die Forderung nach Etablierung eines Untersuchungsausschusses. Dr. Arnold warnte indes davor, die Corona-Pandemie in Form eines „Tribunals“ aufarbeiten zu wollen, dies schade letztlich dem gesellschaftlichen Miteinander.
Mit Blick auf die Ausgangsfrage „Kippt der Osten“ resümierte Arnold, dass die Mechanismen der Demokratie in Ostdeutschland funktionieren, unsere Gesellschaft sich jedoch nicht von alleine gestalte, sondern insbesondere im vorpolitischen Raum mitgestaltet werden müsse. Dazu seien alle gesellschaftlichen Akteure und letztlich alle Menschen aufgerufen.
Görres-Gesellschaft und KAAD danken Herrn Dr. Thomas Arnold und den Teilnehmerinnen und Teilnehmern an diesem Webinar sehr herzlich für ihre Teilnahme und ihre Beiträge.